Der Druck auf unsere Ressourcen im jetzigen Zeitalter ist immens, menschliche sowie nicht-menschliche.
1. Frauenemanzipation
Frauen meiner Generation nehmen viel mehr am Arbeitsleben teil als die der Generation meiner Eltern. Die Arbeit im Haus, die sie vorher gemacht haben, bleibt liegen. Ich bin, wie die meisten Menschen meiner Kultur, sehr dafür, dass die beiden Teilhaber an einer Beziehung bzw. Elternteile einer Familie - von welchem Geschlecht auch immer - die Aufgaben genauso verteilen wie sie in fairer Abstimmung gerne möchten. Das ist der große Gewinn der Frauenemanzipation. Die Rollen sind nicht mehr vorgegeben aufgrund des Geschlechtes. Leider ist jedoch die Männeremanzipation ausgeblieben, nämlich die Möglichkeit tatsächlich weniger zu arbeiten um ihren Anteil an den Hausarbeiten auch leisten zu können. Die Arbeit der Frauen außer Haus ist in vielen Fällen einfach dazu gekommen. Obwohl in typischen Frauenberufen die Akzeptanz von Teilzeitarbeit viel größer ist, wird in vielen Branchen auch von Frauen verlangt, dass sie in Vollzeit verfügbar sind. “Du wolltest doch so gerne arbeiten und Karriere machen?”, hört man den männlichen Boomer-CEO denken.
Es gibt zwar immer mehr Geräte, die uns dabei helfen unsere Hausarbeiten schneller und einfacher zu erledigen, aber Moment mal… sind technische Erfindungen nicht etwa da um dafür zu sorgen, dass wir weniger arbeiten müssen, anstatt zu ermöglichen, dass wir mehr arbeiten können? Die Antwort des heutigen Narratives wäre wahrscheinlich folgenderweise: “ja, sie erlauben uns, uns mehr zu fokussieren auf unsere Leidenschaften, auf die Arbeit die wir gerne machen”. Zu diesem Narrativ am Ende noch mehr.
2. Der relative Wert des Geldes
Wenn du mehr verdienst, kannst du mehr ausgeben. Wenn alle in gleichem Maße mehr verdienen, steigen aber die Preise, vor allem die von Mangelwaren, sowie Baugrundstücke und Wohnungen. Der Gewinn der Mehrarbeit fließt hauptsächlich in die Taschen des Kapitals: ein wenig für den kleinen Besitzer, viel für den großen Besitzer. Andersherum funktioniert dasselbe Prinzip auch: bist du der einzige der weniger arbeitet, kannst du weniger bezahlen. Tun alle das, senken die Preise.
In meiner Kindheit war die eine Familie in unserer Nachbarschaft deren beide Elternteile in Vollzeit arbeiteten eine Ausnahme. Es war die erste Generation deren Mütter, nachdem die Kinder groß genug waren, wieder anfingen in Teilzeit zu arbeiten. Nichtsdestotrotz konnten sich alle ein einfaches Reihenhaus in diesem durchschnittlichen Arbeiterviertel leisten. Heutzutage braucht man anderthalb bis zwei Gehälter um sich dieselbe Wohnung leisten zu können. Die Inflation war hier riesig. Die Gewinne seitens der kleinen Besitzer wurden aber meistens schon längst ausgegeben.
[Technischer Kommentar] Problematisch wäre, wenn die Preise der Häuser tatsächlich ordentlich senken würden, dass diejenigen die sich in letzter Zeit ihre erste Wohnung mit einem dicken Kredit gekauft haben, ihre Wohnung niemals mehr loswerden würden ohne die Rechnungen der teuren Weltreisen und dicken SUVs der älteren Generation zu bezahlen. Das Problem könnte man allerdings verhindern, indem die Politik entscheiden würde die Vollzeitwoche drastisch zu reduzieren bei gleichem Lohn. So würde das Geld bei einer deutlich erkennbaren gesamten Reduktion der Arbeit den gleichen Wert behalten, anstelle einer Deflation, und somit eine Schuldenkrise verhindern.
3. Gesundheit und Gleichgewicht
Eine Vollzeitstelle nimmt viel Zeit aus deinem Leben. Der Druck einen Job zu finden, der perfekt auf dich zugeschnitten ist, ist also groß. Andere Sachen leiden unter Zeitmangel, worunter Familie, Freunde, Sport, Schlaf und deine anderen Interessen und Leidenschaften. Auch wenn du deinen Job sehr magst, hast du für andere Sachen oft zu wenig Zeit. Das führt in unserer Gesellschaft zu viel Stress und Zeitdruck, auch privat. Für manche ist die Arbeit sogar eine Flucht aus dem privaten Leben, wo der Zeitdruck noch größer ist. Das allerdings, ist natürlich eine Folge des vielen Arbeiten. Man mag sagen, dass weniger Arbeit die Leute in die Kneipen treibt und den Alkoholkonsum steigert. Ich persönlich glaube eher, dass der ständige Stress zu mehr Feierabendbieren führt als ein gesundes Gleichgewicht im Leben zwischen allen Tätigkeiten. Was denn ein gesundes Gleichgewicht ist in deinem Leben kannst du viel besser bestimmen als dein Arbeitgeber. Das Gefühl immer hinterherzulaufen im Leben führt auf Dauer zu psychischen Problemen, so wie Burn-Out oder Konzentrationsstörungen.
4. Überproduktion und Nachhaltigkeit
Arbeitskräftemangel führt zu nachhaltigerer Produktion. Eine riesige Arbeitskräfte-Legion auf der anderen Seite führt zu dem Luxus, dass immer alles sofort gemacht werden kann, ohne zu überlegen, was man denn langfristig eigentlich bräuchte. Ich kenne das selber aus der Software-Entwicklung. Schnelle Lieferzeiten verursachen schlechte Qualität und außerdem einen ständigen Druck auf die Mitarbeiter, die also im Müllhaufen noch viel mehr Müll produzieren müssen. Die Nachhaltigkeit leidet, Verschwendung der Produktionskapazität, also unserer Arbeit, ist groß. Freude an der Arbeit können wir so nur noch vortäuschen. So ist es auch mit dem aus dem Fernen Osten importierten Billigzeug, das man für wenig Geld kaufen kann, bald aber wieder wegschmeißen muss, weil es einfach untauglich ist. Wenn man als Gesellschaft die Produktionskapazität verringert, muss man sich besser überlegen, was man braucht und also produzieren will. Außerdem produziert man lieber Produkte mit einer längeren Lebensdauer, also von besserer Qualität. Das ist wiederum gut für die Welt. Weniger zu arbeiten kommt also der Welt, dem Klima und unseren Ressourcen zu Gute.
5. Gleichgewicht in der Vermögensverteilung
Je mehr Produktion, desto größer ist der Gewinn auf Seite des Kapitals. Kapitalismus fördert Überproduktion und steht einer nachhaltigen Produktion im Wege. Kapitalismus erhöht also auch den Druck auf uns Menschen, Arbeiter, immer das maximale zu produzieren was einigermaßen möglich ist. Wenn die Wirtschaft wächst, verliert das Geld in gleichem Maße seinen Wert: Inflation. Die Arbeiter verdienen zwar stets mehr, aber können dafür nicht mehr kaufen. Wie schon erwähnt unter “2.” hat vor allem das Kapital davon einen Vorteil. Deshalb wehren sich auch vor allem Großunternehmen dagegen das Tor zu einer Reduktion der Arbeitszeit zu öffnen. Die Reduktion der Arbeit und somit Produktion würde also für ein besseres Gleichgewicht in der Vermögensverteilung sorgen. Wie viel weniger dürfen wir denn schon arbeiten, nach vielen Jahrzehnten von Erfindungen und Entwicklungen die unsere Produktion immer effizienter gemacht haben? Wo geht der Gewinn der Effizienz denn hin wenn nicht an uns? Und wer bestimmt wie viel wir arbeiten?
Das Narrativ
Das Narrativ im Westen heutzutage ist, dass wir zwar noch immer viel arbeiten, aber im Gegensatz zu früher, Arbeit machen die uns Spaß macht. Wir haben uns die Ausbildung oder das Studium aussuchen können und dadurch bekommen wir den perfekten Job, in dem unsere Leidenschaft völlig zum Ausdruck kommt, in dem wir unsere Kreativität verwenden können und zusammen mit unseren ebenfalls äußerst motivierten Kollegen in selbstorganisierten Teams den Fortschritt der Menschheit erarbeiten. Wenn man es so nicht empfindet, hat man einfach den richtigen Job noch nicht gefunden, muss man weiter suchen, sonst hat man es sich selbst zu verdanken. So weit das Narrativ.
Meines Erachtens gilt das zwar für manche Leute, aber eher für eine kleine Minderheit. Der Arbeitsmarkt braucht nämlich Mitarbeiter, die am liebsten nur eine Leidenschaft haben, die man außerdem sehr gut in Gewinn umsetzen kann. Für viele andere Leidenschaften ist kein Platz vorgesehen, für eine Vielfalt an Interessen in einem Job auch nicht. Da kommt das englische Wort “Hobby” ins Spiel. Falls man noch Zeit und Energie übrig hat, kann man sich in der Freizeit damit beschäftigen, also nach den 40 Stunden, den Überstunden, dem Pendeln, den Hausarbeiten, dem Einkaufen, der Steuererklärung, der Familie, usw. Die Tatsache, dass die Arbeit die fürs Einkommen Zuständig ist, nicht immer so ganz das ist, was man gerade am liebsten macht, oder sogar das, mit dem man glaubt der Welt am meisten einen Gefallen zu tun, ist ein Tabu. Aus dem Grund versuchen die Mitarbeiter, ihre Arbeit sich selbst als Leidenschaft zu verkaufen, womit sie manchmal erfolgreich sind. Falls das nicht klappt, verkauft man sie doch sicherlich seinen Kollegen und dem Arbeitgeber entsprechend. Die wahren Gefühle erfährt man - wenn überhaupt - häufig erst, wenn sie den Arbeitgeber verlassen oder sich trauen es dir vertraulich zu sagen, wenn du den Arbeitgeber verlässt, dass sie in ihrem Job auch nicht so ganz glücklich sind. Üblicherweise bleiben die Äußerungen bei einem Abgang aber bei dem Wunsch, sich nach vielen Jahren toller Arbeit, nochmal neu herausfordern zu wollen.
Fazit
Ich würde dafür plädieren, uns selbst und möglichst auch unserem professionellen Umfeld gegenüber wieder ehrlich zu sein, zu erkennen, dass der Job im Grunde da ist uns ein notwendiges Gehalt zu bieten, dass es Arbeit gibt, die nun mal gemacht werden muss, dass es zwar schön wäre, wenn wir Spaß daran hätten, dass wir auch gerne Spaß daran haben dürfen, aber dass der Job, der genau das beinhaltet, womit wir intrinsisch wöchentlich so viele Stunden verbringen möchten, für die meisten einfach eine Utopie ist. Ich bin schwer davon überzeugt, dass wenn wir alle das machen würden, was wir wirklich machen möchten, die Welt und unsere Gesellschaft komplett anders aussehen würden als wie sie jetzt aussieht. Das heißt, ich glaube sehr wenig von diesem Narrativ. Lasst uns deshalb die Zeit die wir mit unserer professionellen Arbeit verbringen, bitte begrenzen und, im Vergleich zu jetzt, deutlich reduzieren. Wenn ihr es wirklich nicht wollt, kehrt euch dann bitte nicht gegen diejenigen, die es für sich brauchen.